Auf der Seite Wallbox & Ladestation im Mehrfamilienhaus haben wir die Eckpunkte der WEG-Novelle 2022 schon herausgearbeitet, nun wollen wir uns etwas umfassender mit dem Thema befassen.
Das Problem mit der Beschlussfassung
Die Willensbildung der Eigentümergemeinschaft war bislang eine recht anspruchsvolle Angelegenheit. Wollte ein Wohnungseigentümer eine Änderung am allgemeinen Teil des Wohnhauses vornehmen, musste er alle anderen Wohnungseigentümer informieren und hoffen, dass man die 100%-ige Zustimmung aller Wohnungseigentümer erlangte. Das führte oft zu Verzögerungen, da Wohnungseigentümer nicht erreichbar waren oder nicht zustimmen wollten. Die Durchsetzung des eigenen Anliegens über den Gerichtsweg war zwar möglich, aber langwierig und kostenintensiv. Mit der WEG-Novelle 2022 und dem „Right to Plug“ soll dieser Vorgang für Ladestationen der Vergangenheit angehören.
Das "Right to Plug" in der WEG-Novelle 2022
Der Gesetzgeber hat erkannt, dass der beschriebene Vorgang dem Fortschritt der E-Mobilität im Weg steht und hat in der WEG-Novelle 2022 mit der „Zustimmungsfiktion“ ein neues Instrument geschaffen. Die Zustimmungsfiktion bedeutet, dass von einer Zustimmung ausgegangen wird, wenn
- alle anderen Wohnungseigentümer ordnungsgemäß und schriftlich verständigt wurden und
- niemand binnen zwei Monaten schriftlich dagegen widerspricht.
Im Falle eines Widerspruchs eines Wohnungseigentümers bleibt allerdings nach wie vor nur der Weg vors Gericht.
Die Namen und Zustellanschrift erhalten Sie übrigens vom Verwalter des jeweiligen Gebäudes.
Die Zustimmungsfunktion gilt allerdings nicht für alle Ladestationen. Im Folgenden haben wir mehrere Fälle für Sie herausgearbeitet.
Fall 1: Langsamladen mit einer Einzelladestation
Das im vorigen Absatz beschrieben Prozedere der Zustimmungsfunktion gilt für alle Einzelladestationen bis zu einer Ladeleistung von 3,7 kW einphasig bzw. 5,5 kW dreiphasig. Widerspricht niemand, darf diese Ladestation also sofort vom konzessionierten Elektrofachbetrieb installiert werden.
Widerspricht ein oder mehrere Wohnungseigentümer, so muss die Zustimmung gerichtlich ersetzt werden. Dazu müssen Sie im vor Gericht die Verkehrsüblichkeit oder Ihr wichtiges Interesse an der Ladestation nachweisen. Mit der neuen Gesetzeslage sollten Sie hier gute Chancen haben.
Fall 2: Langsamladen mit Einzelladestationen in E-Mobilitätsgemeinschaften
Wollen mehrere Wohnungseigentümer Ladestationen installieren, aber noch keine Mehrheit für eine Gemeinschaftsanlage erzielt worden ist (siehe Fall 4), können sich die ladewilligen Wohnungseigentümer zu einer E-Mobilitätsgemeinschaft zusammenschließen. Grundsätzlich gelten dabei die gleichen Regeln wie bei Einzelladestationen, also die Zustimmungsfiktion für Langsamladen bis 3,7 bzw. 5,5 kW.
Zusätzlich kann eine E-Mobilitätsgemeinschaft ein Lastmanagement für ihre Ladestationen installieren lassen, um die benötigte Leistung zu reduzieren, den Netzanschluss zu entlasten und Kosten im Betrieb zu sparen.
Fall 3: Höhere Ladeleistungen mit Einzelladestationen
Wollen Sie oder Ihre E-Mobilitätsgemeinschaft schneller als mit 3,7 kW einphasig oder 5,5 kW dreiphasig laden, profitieren Sie nicht von der Zustimmungsfiktion. Für höhere Ladeleistungen muss nach wie vor die aktive Zustimmung aller Wohnungseigentümer eingeholt werden.
Der gerichtliche Nachweis der Verkehrsüblichkeit oder des wichtigen Interesse ist da schon etwas schwieriger und hängt von vielen Faktoren ab, etwa ob 5,5 kW Ladeleistung zum Abdecken Ihrer Alltagsdistanzen ausreichend sind. Konsultieren Sie daher im Vorfeld einen E-Mobilitätsexperten wie LadeLeistung.at und Ihren Anwalt.
Fall 4: Die Gemeinschaftsanlage für Ladestationen
Eine Gemeinschaftsanlage mit einem zentralen Lastmanagement hat viele Vorteile für alle Wohnungseigentümer: Bestehende Anschlusskapazitäten werden optimal genutzt und es müssen keine zusätzlichen Anschlusskapazitäten geschaffen werden. Zudem verteilt das Lastmanagement die Ladezeiten und Ladeleistungen so, dass alle E-Autos bestmöglich geladen werden. Zu den unterschiedlichen Lastmanagement-Systemen kontaktieren Sie gleich Ihre E-Mobilitätsexperten von LadeLeistung.at.
Die Willensbildung für eine Gemeinschaftsanlage kann auf zwei Arten erwirkt werden:
- einfache Mehrheit: eine Mehrheit aller Miteigentumsanteile spricht sich für die Gemeinschaftsanlage aus.
- Drittelsockel: eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, die zumindest ein Drittel der Miteigentumsanteile ausmachen, spricht sich für die Gemeinschaftsanlage aus.
Gerade der zweite Punkt ist wichtig, da die Eigentümergemeinschaft schon ab einem Drittel der Miteigentumsanteile beschlussfähig ist und es somit nicht so leicht durch Abwesenheiten zu Verzögerungen kommt.
Übrigens: Leistungsgrenzen wie bei den Einzelladestationen gibt es bei der Gemeinschaftsanlage nicht. Die Gemeinschaftsanlage sollte dennoch nicht überdimensioniert werden. Planen Sie Ihre Gemeinschaftsanlage mit Ihrem E-Mobilitätsexperten von LadeLeistung.at und wir rechnen unterschiedliche Varianten mit Ihnen durch.
Falls bereits Einzelladestationen bestehen und diese nicht in die Gemeinschaftsanlage eingebunden werden können, so kann die Eigentümergemeinschaft beschließen, dass die Einzelladestation nicht mehr genutzt werden darf und durch eine Ladestation ersetzt werden muss, die in die Gemeinschaftsanlage eingebunden werden kann. Das gilt grundsätzlich für alle Einzelladestationen, die ab dem 01.01.2022 installiert wurden und kann erst fünf Jahre nach Errichtung der Einzelladestation erfolgen. Es zahlt sich also aus, bereits bei der ersten Ladestation an die Gemeinschaftsanlage zu denken, um einen unkontrollierten Wildwuchs an Einzelladestationen sowie spätere Konfliktpotentiale zwischen den Wohnungseigentümern gleich vorwegzunehmen.
Inkrafttreten und Gesetzestext der WEG-Novelle 2022
Wann trat die WEG-Novelle 2022 in Kraft?
Die WEG-Novelle trat grundsätzlich am 01.01.2022 in Kraft, einzelne Teile sind aber erst seit 01.07.2022 wirksam – etwa die Willensbildung bei Gemeinschaftsanlagen.
Wo gibt es den genauen Gesetzestext der WEG-Novelle 2022?
Auf der Webseite des österreichischen Parlamentes können Gesetzestext und Erläuterungen eingesehen werden: www.parlament.gv.at